• Sachensucher

    Unterschenkelknochen einer Kuh

    Stock oder nicht Stock, das ist hier nicht die Frage.

    Als Kind war ich eine Sachensucherin. Wie Pippi Langstrumpf bin ich losgezogen und habe nach Dingen gesucht, die andere Menschen verloren, weggeworfen oder versteckt hatten. Insgeheim habe ich wohl gehofft, einen Schatz zu finden, den andere – Piraten vielleicht? – vergraben hatten. Hat nicht geklappt, wie man sieht. Vielleicht auch, weil ich nie gegraben habe.

    Heute suche ich nicht mehr gezielt nach Sachen, ich finde sie. Um ehrlich zu sein: Oft ist es der Hund, der sie findet (ich weiß jetzt, warum ich als Kind immer einen Hund wollte). So wie heute Morgen.

    Wir gingen gemächlich am Wasser entlang, als der Hund plötzlich loslief. Zielstrebig, wie von einer unsichtbaren Schnur gezogen, machte er sich auf den Weg zur alten Weide. Dort schnüffelte er den Boden ab, blieb stehen, senkte den Kopf tiefer und hob etwas auf. Das Ding in seinem Maul sah aus wie ein Stock. Ein Lächeln zog über mein Gesicht. Gleich würden wir eine Runde kaspern – und Spaß dabei haben.

    Doch irgendetwas war anders als sonst, denn der Hund ließ den Stock wieder fallen. Dann drehte er seinen Hals, sodass seine Schnauze in Richtung Himmel zeigte, und ließ sich rücklings auf den Boden plumpsen. Mit dem Hals wischte er am Stock entlang.

    Sofort war ich in Alarmbereitschaft. Was war das für ein Ding, auf dem sich mein Hund wälzte? Die letzten Male, als er so etwas getan hatte, waren für uns beide gleichermaßen unappetitlich gewesen. Für mich, weil er stank wie ein Güllefass, für ihn, weil er anschließend eine Teebaumölhundeshampoowäsche über sich ergehen lassen musste. Eine typische Lost-Lost-Situation eben.

    Ich sprintete so schnell los, wie meine Gummistiefeln es erlaubten, verhedderte mich in der Hundeleine, stolperte, fing mich wieder und erreichte den Hund, als er zum dritten Mal den Hals am Stock entlangschubbern wollte. Gerade noch rechtzeitig griff ich danach.

    „Bitte, lass das Ding nicht in Gülle getaucht sein!“, schickte ich ein Stoßgebet zum Himmel und hob den Stock hoch. Oh nein! Er fühlte sich tatsächlich schmierig an. Ob ich wollte oder nicht: Jetzt musste ich doch mal genauer hinschauen.

    In diesem Moment zog Nebel auf. Es war schon die ganze Zeit über diesig gewesen, doch jetzt, als ich das glitschige Etwas in den Händen hielt, wurde der Nebel so dicht, dass ich die alte Weide ein paar Meter weiter kaum mehr erkennen konnte. „The Fog – Nebel des Grauens“, schoss es mir durch den Kopf. Meine Augen richteten sich auf meine Hand. Ich schrie auf. Das Ding war gar kein Stock. Es war ein Kuhbein. Oder besser: ein Kuhunterschenkel. Mit Resten von Fleisch, Knorpel und Fell. Jetzt fehlte nur noch, dass die dazugehörige Kuh aus dem Nebel trat und ihr Bein zurückforderte!

    Ich lief die paar Meter zum Fluss hinunter. Der Hund immer hinter mir her. Rasch hob ich das Kuhbein über meinen Kopf, holte aus und warf es von mir, so weit ich konnte. Platsch! Es traf auf dem Wasser auf. Ich atmete durch. Der Hund neben mir seufzte.

    Fast im gleichen Augenblick trat die Sonne hinter dem gegenüberliegenden Hügel hervor, und der Nebel verzog sich. Nicht ganz, aber doch so, dass man wieder weiter gucken konnte. Der Hund und ich setzten unseren Weg fort. Ohne Kuhbein. Das hatte ja nun eine Seebestattung erhalten.

    Und wer sich jetzt fragt, wie ich in dieser Situation noch ein Foto von dem Bein machen konnte: Das bleibt mein Geheimnis. Pippi hat auch nie alles verraten. Nicht wahr?

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