Wen wundert es da, dass selbst die schwarze Kunst (also der Buch- und Zeitungsdruck) hier noch als modern angesehen wird? Normalerweise arbeiten wir auf dem Land auf Zuruf. Die Neuigkeiten verbreiten sich von Mann zu Mann oder von Frau zu Frau und manchmal tatsächlich sogar schon von Frau zu Mann und umgekehrt.
Ein ganz wichtiges Mittel zur Kommunikation ist daher die Anschlagscheune. Nein, das hat nichts mit terroristischen Anschlägen, der RAF oder al-Qaida zu tun (sorry, liebe NSA und lieber BND), sondern mit der Weitergabe von Informationen (ähem, vielleicht habe ich mich geirrt, und es ist vielleicht doch was für euch, liebe NSA- und BND-Mitarbeiter?):
Wer etwas öffentlich kundtun möchte – und zwar so, dass es alle, und ich meine wirklich alle (!), der knapp 500 Dorfbewohner mitbekommen –, schnappt sich ein Bettlaken (möglichst ohne Flecken), schreibt seine überaus wichtige Botschaft darauf und hängt das Laken an die Scheune vor dem Dorfeingang. Auf diese Weise stellt der Informant sicher, dass seine Botschaft wirklich sämtliche Dorfbewohner erreicht – jedenfalls die, die ihr Dorf hin und wieder mal verlassen (zugegeben: Einige werden auch diese Neuigkeiten wahrscheinlich nie mitbekommen).
So erfahren wir, dass Schnulli demnächst 57 wird, Kalle mit 31 Jahren immer noch nicht verheiratet ist und Sigrun tatsächlich ein Baby bekommen hat. Die silberne Hochzeit von Bille und Zottel wird hier genauso annonciert wie die Suche nach Kater Mikesch. Alles Wichtige findet an der Anschlagscheune seinen Platz und auf dem Weg ins Dorf seine Leser.
Einzig und allein an der Ausführung hapert es manchmal: Nicht nur, dass Kalligrafie* für die meisten Lakenaufhänger ein Fremdwort zu sein scheint, manchmal fehlen dem Text wichtige Informationen: Es ist zwar schön, wenn ich erfahre, dass Bullebär am Samstag fegen muss, doch wenn ich nicht weiß, an welchem Samstag und wo, kann ich leider nicht erscheinen, um mir das Spektakel anzusehen. Und wenn ich nicht weiß, wie Kater Mikesch aussieht, kann ich nicht Ausschau nach ihm halten.
Deshalb hier meine ausdrückliche Bitte: Liebe Lakenbeschreiber, schreibt euren Text vor und lasst ihn noch einmal von einem Unbeteiligten durchlesen, bevor ihr eure Informationen der Öffentlichkeit zugänglich macht. Wenn der sagt, dass ihm irgendetwas fehlt, hört ihm gut zu und überarbeitet euer Manifest, bevor ihr es an der Scheune anschlagt. Und falls es nicht zu viel verlangt sein sollte: Plant, wo ihr was hinschreibt (man nennt das auch layouten). Es ist schon ein bisschen schwierig, im Kreis zu lesen, wenn man an der Scheune vorbeifährt. Ihr wollt doch nicht schuld an einem Autounfall sein. Oder?
* Die Kunst des schönen Schreibens