Die einsame kleine Ente und die auf einem Hof in der Nähe lebende Gans wurden nicht nur Wegelagerer, wie hier beschrieben, sondern ein Paar. Die Ente zog zur Gans und bekam dort täglich Futter und Wasser. Schön warʼs. Eigentlich. Doch die Ente war etwas anderes gewöhnt. Bislang hatte sie ihr Futter immer selbst suchen müssen. Und gefunden. Es war ein wildes, freies Leben gewesen. Das die Ente aufgegeben hatte, um ihr Leben mit der Gans zu teilen. Doch hin und wieder musste sie raus. Zumal das in absehbarer Zukunft kaum noch möglich sein würde. Die Ente hatte nämlich Eier gelegt. Zwölf an der Zahl. Diese bebrütete die Ente, und die Gans passte währenddessen auf sie auf.
Eines Nachts, als die Gans schlief, machte die Ente sich aus dem Staub. Kleine Fluchten. Kurz mal schwimmen und abkühlen, noch einmal eintauchen in den toten Weserarm, der lange Zeit ihre Heimat gewesen war. Dann rasch wieder zurückkehren, damit die Eier nicht zu sehr auskühlen. Die Gans würde es schon nicht bemerken.
Die Ente hatte den Uferrand erreicht, da hörte sie ein Rascheln im hohen Gras. Sie drehte sich um, so wie sie es immer getan hatte, wenn die Gans sie bewachte. Diesmal jedoch war die Gans nicht da. Stattdessen stand ein rotbraunes Tier mit Puschelschwanz vor ihr. Das fackelte nicht lang, sondern packte den Hals der Ente, biss ihn durch und brachte seine Beute in seinen Bau, wo die kleinen Füchse bereits auf Futter warteten.
Am nächsten Morgen bemerkte die Gans, dass die Ente nicht mehr auf dem Gelege saß. Die Gans rief nach der Ente, doch sie bekam keine Antwort. Überall suchte sie nach der Ente, am Flussarm, bei den Nachbarn, auf der Halbinsel im Fluss, aber sie konnte die Ente nirgends finden.
Nach zwei Tagen des Suchens war die Gans erschöpft. Und verzweifelt. Die Ente war ihre einzige Freundin gewesen, ihre Gefährtin. Allein leben war keine Option. Sie brauchte jemanden. Sie brauchte einen Freund, eine Freundin. Da fiel ihr Blick auf das Schaf im Stall. Ja, genau. Das Schaf würde ihre neue beste Freundin werden. Die Gans schwor sich, das Schaf besser zu beschützen als die Ente.
Bald darauf öffnete der Bauer die Tür zum Stall. Die Gans stürmte auf ihn zu. Der würde dem Schaf nicht weh tun. Keinesfalls. Die Gans schnappte mit ihrem Schnabel nach dem Bauern. Schlug mit ihren Flügeln. Zischte. Das Schaf mähte. Der Bauer griff nach der Mistgabel, um sich die Gans vom Leib zu halten, damit er dem Schaf Futter und Wasser geben konnte. Er schüttelte den Kopf, als er den Stall verließ.
In den folgenden Wochen bewachte die Gans das Schaf. Doch das war nicht dasselbe. Denn das Schaf hatte nicht so schöne weiche Federn wie die Ente. Das Schaf hatte keinen hübschen Schnabel. Das Schaf konnte nicht schwimmen und die Gans ans Flussufer begleiten.
Auch die letzten Erinnerungen an die Ente, ihre Eier, waren fort. Der Bauer hatte sie längst aus dem Nest entfernt, das die Ente für sie gemacht hatte. Jedes Mal, wenn die Gans einen Blick auf das verwaiste Nest warf, seufzte sie. Hunger hatte sie nicht mehr. Sie verweigerte jegliches Futter und wog nach drei Wochen nur noch ein Drittel ihres Ausgangsgewichts. Ohne die Ente war das Leben nichts mehr wert.
In der folgenden Nacht kehrte das rotbraune Tier zurück. Die Gans wäre normalerweise zu groß gewesen, um seine Beute zu sein, doch jetzt, wo sie vor Trauer geschwächt war und kaum noch etwas wog, spürte der Fuchs, dass es an der Zeit war, auch dieses Leben zu nehmen. Seine Kinder warteten. Sie hatten Hunger. Die Gans wehrte sich kaum. War froh, endlich zu wissen, welchen Weg die Ente genommen hatte. Wollte den gleichen Weg gehen.
Der Fuchs zerrte den großen, leblosen Körper der Gans durchs Gras. Nach 100 Metern konnte er nicht mehr. Selbst die abgemagerte Gans war noch zu schwer für ihn. Er riss ein Stück aus dem Körper der Gans, um den Fuchskindern wenigstens etwas Essen zu bringen. Den Rest ließ er liegen.
Die Freunde waren wieder vereint.